Presse
Europäische Normen: Wer Standards setzt, gestaltet Zukunft
Drei Fragen an Sibylle Gabler, DIN

Europäische Normen entscheiden längst nicht mehr nur über technische Details – sie sind zu einem geopolitischen Machtfaktor geworden. Wie Europa in diesem globalen Wettbewerb bestehen kann und warum Normung im Spannungsfeld zwischen China, den USA und der EU essenziell ist, erklärte Sibylle Gabler, Mitglied der Geschäftsleitung von DIN für den Bereich External Relations, auf dem Focus Event „Standards-Setting & Power Politics – Die EU im Wettbewerb mit China und den USA“ auf dem Tag der Industrie 2025.
Wie verändert sich die Rolle von Normen im globalen Wettbewerb?
Sibylle Gabler: Normen sind ein strategisches Instrument geoökonomischer Gestaltung, denn wer Standards setzt, bestimmt die Spielregeln des globalen Handels und sichert sich damit Innovationskraft, Marktzugang und Einfluss. Alle Wirtschaftsbeteiligten sollten die strategische Tragweite von Normung verstehen.
Europa steht unter Druck: Während die USA auf innovationsgetriebene Unternehmensbeteiligung setzen und China massiv staatlich gesteuerte Normungsinitiativen vorantreibt, müssen wir unseren europäischen Ansatz selbstbewusst weiterentwickeln. Unser System ist bottom-up, praxisorientiert und setzt auf eine breite Partizipation und damit Akzeptanz von europäischen Normen. Damit das so bleibt, braucht es aktive Mitwirkung – aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
Was bedeutet das konkret für die deutsche und europäische Wirtschaft?
Für unsere exportorientierte Wirtschaft ist Normung ein zentrales Instrument der Wettbewerbsfähigkeit. In Zeiten von Abschottungstendenzen, wie wir sie zum Beispiel entlang der chinesischen Neuen Seidenstraße gesehen haben, können Normen auch als Handelshemmnis genutzt werden. Umso wichtiger ist es, dass wir frühzeitig technologische Entwicklungen normativ begleiten.
Das gilt besonders für Zukunftstechnologien wie KI, Quantentechnologie oder die Wasserstoffwirtschaft. Hier entscheidet sich, wer künftig die Spielregeln bestimmt und damit auch die Märkte prägt. Europa hat in vielen Bereichen große Expertise, aber wir müssen strategischer und schneller handeln. Normung ist ein Transferinstrument, das Innovationen frühzeitig marktfähig macht.
Welche Impulse braucht es dafür aus der Politik?
Wir brauchen eine Normungspolitik, die strategisch denkt – quer durch alle Politikfelder. In jeder Technologie- oder Innovationsstrategie sollte ein Kapitel zur Standardisierung enthalten sein. Die EU hat mit ihrer Standardisierungsstrategie 2022 wichtige Weichen gestellt, und auch der Koalitionsvertrag in Deutschland erkennt die Bedeutung von Normung an. Aber das reicht noch nicht.
Es braucht konkrete Anreize für Expertinnen und Experten, sich zu engagieren, gerade aus kleinen und mittleren Unternehmen oder der Wissenschaft zum Beispiel durch gezielte Förderung oder durch die Weiterentwicklung von Programmen wie WIPANO. Und es braucht eine noch stärkere politische Flankierung unserer noch immer starken Präsenz in der internationalen Normung.
Zum Anlass des 50-jährigen Jubiläums des Normenvertrags hat DIN die Kommunikationskampagne 50 Jahre. 50 Normen. lanciert. Die Kampagne thematisiert eine unserer aktuell größten Herausforderungen: Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Mehr erfahren |